Im Jahre 1972 hat die Kunsthalle zu Kiel das Gemälde "Touristen" von Wolfgang Petrick gekauft. Seit Anfang 1974 ist es mit anderen Neuerwerbungen zum erstenmal ausgestellt. Die Besucher stehen davor, niemand dem'S nicht kalt den Rücken herunterliefe.
Liegt es am Thema? - Wir haben uns für dieses Bild entschieden (die Vorentscheidung für den Künstler ging dem voraus), weil wir glauben, dass es für ein Museum nicht genügt, ein Hauptwerk eines Künstlers zu kaufen, um dann etwa bei Führungen mit einem gewissen Stolz hinweisen zu können: Das ist 'unser' Petrick oder Grützke oder Wunderlich oder... Ein Bild, zumal das eines Realisten, sollte an dem Ort, wo es gezeigt wird, ein Spannungsfeld erzeugen. Das Thema ist für den Maler Petrick bezeichnend. Er hat sich eingehend damit beschäftigt, es gibt Variationen, Begleitthemen, Verklammerungen in seinem Werk: diese Badenden, schrecklich Maskierten, die, die auf Parties, im Garten, in Stuben und nackten Fliesenzimmern das treiben, was wir alle tun. Sie sind die Anlässe zu seiner Kunst. Auch wir fahren nach Sylt und Amrum, Travemünde, Mallorca oder Gran Canaria, auch wir sind Rädchen in der sog. Freizeit-, Ferien- oder Erholungsindustrie. Petricks Themen sind zeitbezogen, sind das, was man heute kritisch nennt. Sie sind hautnah.
Die brutale Ignoranz der "Touristen", die wie eine Kolonne roboterhafter Schlächter ihrem Vergnügen mit unmenschlichem, krampfhaftem Egoismus nachmarschieren, - irgendwo sind wir alle so. Der Tauchsport als Attribut von Weitläufigkeit und sich ein bisschen ins gefährliche Wunderland begeben, die braune Haut als Ausweis von Kraft, Gesundheit, Zahnpastagrinsen und der Möglichkeit, sich mehr leisten zu können als andere Blassen, - wir kennen das alle. Petrick zeigt das Geschwundene und die Schinder. Diese wie jene kommen uns bekannt vor, sie sind unsere Brüder, die wir im Zerrspiegel erblicken.
Es gibt stumme Bilder von Petrick, die im elend der Gegenwart ihre Sprache verloren haben, nur noch vorzeigen (ich zähle Portraits dazu), nicht protestieren, nicht aufschreien, sondern einfach da sind, eine tote Straße, ein angehaltenes Monstrum von Maschine. Die Touristen" aber sind ein wütendes Bild, man hat den Eindruck, es knirscht mit Zähnen und klopfe den Takt mit eisenbeschlagenen Stiefeln. Soviel über den Inhalt.
Nun weiß jeder, der sich mit Kunst eingelassen hat, dass der Inhalt nicht genügt. Es muss in Erscheinung treten, muss also Gestalt bekommen, Form eben. Wie macht es dieser Petrick, dass uns das Thema nicht nur bekannt vorkommt, sondern in ganz bestimmter Konzentration so vor uns erscheint, dass wir sagen können: Ja, das geht uns an, dieser in Salzsäure getauchte NEckermann-Reisekatalog - das ist es. .
1. Petrick ist ein unerbittlicher Zeichner. Seine Figuren, seine Räume sind so hart durchgezeichnet, das alles klar vor uns liegt, einsichtig bis ins letzte Detail. Diese Details fügen sich an genaue andere, so dass wir mit einem Blick verstehen und bei näherem Hinsehen das Verstandengegelaubte wieder verlieren. In diese Maschinerie sind Gewinde eingezogen, die die überscharfen Einzelheiten von uns wegrücken. Das ist nicht einfach Abbilden von Wirklichkeit, sondern ihr präzises Abziehbild, das grausame Geheimnisse ausstanzt aus Banalem und diese Stanzteile zusammengefügt zu einem Panoptikum, dessen Begrenzungen nicht in unser Gesichtsfeld kommen wollen.
2. Seine weichen Strichlagen, die Zartheit mancher Linienfelder machen wie die süßliche Farbigkeit seiner Bilder deren eisige Härte noch bewusster. Vergiftete Bonbons oder Samtkissen aus Sthal. Diese Farbigkeit denunziert sich selbst wie ein zynischer Witz bei einer Beerdigung. Aber auch diese Farben sind Wirklichtkeit, die uns umgibt: Jedes TV-Color, jede Illustrierte, jedes Plakat, jede Verpackung signalisiert uns Tag für Tag, und Nacht für Nacht leuchtet sie und an von den Fassaden unserer Städte. Petricks Farben sind so unwahrscheinlich wie die unsere Konsumwerbung. Sie heben die wie mit dem Messer gezeichnete Form, den ins Unvertraute verzerrende Inhalt nochmals in eine Talmiwolke von Künstlichkeit, die an versilberte Totengerippe barocker Epitaphien erinnern. Die Realität des Todes eingepackt in rosa Speiseeis. Wer davon kostet, ist dem Tod verfallen, - und wir alle kosten davon.
3. So wie Petrick mit dem menschlichen Körper umspringt, erinnert an den jungen Otto Dix, an dessen Krüppelbilder und entlarvende Portraits. Aber er hat ein anderes Thema als der sächsische Kapitalistenfresser, dem später der Bissen im Halse stecken geblieben ist.
Petricks Körper ist Ergebnis unmenschlicher Verbindung von Fleisch und Eisen, Haut und Stoff, Glied und Metallrohr. Schon das allein assoziiert Prothese, eiserne Lunde, eine hybride Technik, die um ihrer selbst willen dem Menschen Krücken aufzwingt, es gerinnen lässt zur Funktion, die ersetzt, vollendet, zuendeklappen lässt, was schon vorher ohne Sinn dahingelebt hat. Das Ganze erscheint wie die Fortsetzung desselben mit anderen Mitteln. Man hat den Eindruck: Wären diese Gestalten andere, menschlichere, beseeltere - statt der Zangen, Stangen, Dübel, Nägel, Riemen, statt der Helme und grotesken Hüte, Gummiwesten und Brillen würden Blumen aus Brüsten, Bäuchen und Füßen wachsen. So wäre Petrick eigentlich gar kein Realist, eher ein rationaler James Ensor mit technischer Phantasie. Seine Ausschweifungen, seine MAskenzüge und irrsinnigen Grotesken sind durch einen Filter von scharfem Glas hindurchgegangen, sind im Kühlraum erstarrt, wie ihn Schlachthäuser besitzen. Zwischen Ensor und PEtrick liegen zwei Weltkriege.
Ist Petricks Kunst also zynischer Rapport, Anklage, Demaskierung mit den Mitteln der Groteske, utopischer Alptraum von einer Zukunft, in der die totale maschinenmäßige Manipulation des Menschlichen das geschundene Fleisch durch den Wolf dreht? Es ist alles dies, und es ist so, wie man in der erbarmungslosen Verzerrung des Todes die Macht des Humanen beschwört. Und so mag Petricks Werk das bewirken, was jede Kunst bewirken möchte: Veränderung.
Jens C. Jensen